Schnann, die goldene Stadt

 „Schnann, die goldene Stadt!“, rief im Frühjahr 1946 ein Schaffner mit eleganter Geste auf dem Trittbrett stehend, des in die Haltestelle mit dem kleinen Bahnwächterhaus und dem „Zigglbrunna“ einfahrenden Personenzuges. Das Ausrufen der Haltestellen war damals üblich. „Goldene Stadt“ aber wäre dem verschmitzten Kartenzwicker eventuell als Überschreitung seiner dienstlichen Befugnisse anzukreiden gewesen. Mildernde Umstände hätte der reisende Beobachter der Stanzertaler Verhältnisse indes aufgrund folgender Geschehnisse einfordern können:

Im März 1944 besetzte die Deutsche Wehrmacht auch Ungarn. Am 3. November 1944 erklärte die von den Nazis geduldete ungarische Regierung alles jüdische Eigentum per Dekret zum „Eigentum der Nation“. Am 23. Dezember 1944 verschoben die Pfeilkreuzler, ungarische Nazis, einen Teil dieses Raubguts in 44 Eisenbahnwaggons vor den anrückenden Russen nach Westen. Der Zug blieb drei Monate in Sopron hängen, kam dann nach einem weiteren Aufenthalt in Werfen nach Badgastein, wo er schließlich am 11. Mai 1945 von den Amerikanern beschlagnahmt wurde. Dem Kommandanten des Pfeilkreuzlertrupps, Polizeioberst Arpad Toldi, war es jedoch gelungen, sich vorher mit 70 Kisten abzusetzen. Sein Ziel war die Schweiz. In Hopfgarten wurde ein Teil des Raubgutes auf Lastautos umgeladen und gelangte ins Stanzertal, wo über 40 Kisten in Flirsch, Schnann und St. Anton versteckt wurden. In jedem dieser Dörfer blieb ein Pfeilkreuzler als Beobachter zurück. In Schnann arbeitete ein solcher unter dem Namen Viktor als Bauernknecht. Bei Räumarbeiten auf einer Wiese in der Nähe der kleinen Kapelle „Seelenzoll“, zwischen Schnann und Flirsch, wurden acht Kisten dieses „Goldschatzes“ gefunden. Sie enthielten Goldbarren, Schmuckstücke, Edelsteine, Uhren, aber auch Zahngold und blutbefleckte Goldringe, die offenbar aus Konzentrationslagern stammten. Dies wurde auch in einem Bericht über den Prozess gegen 21 in diesen Fall verwickelte Personen angeführt, der am 26. September 1946 in der Tiroler Tageszeitung erschien. Weil die Finder durch ihren exzessiv zur Schau gestellten plötzlichen Reichtum aufgefallen waren, hatte man sie im Juni 1946 bei der französischen Verwaltungsbehörde angezeigt.


In späteren Jahren wurde stets vom „Ungarischen Kronschatz“ gesprochen. Erst als 1995 Nachforschungen eines Wiener Dokumentarfilmers über den „Schnanner Goldschatz“ begannen, erhielt die Geschichte ihre wahre historische Dimension. Der Film „Die Goldene Stadt“ von Norbert Prettenthaler und Herbert Tucmandl wurde im Februar 1997 in Pettneu uraufgeführt. Darin kommen Zeitzeugen aus Schnann, Pettneu und Flirsch zu Wort.


Mit dem Theaterstück „Seelenzoll“ von Stefan Hellbert, aufgeführt von der Heimatbühne Pettneu (Obmann Albert Korber, Regie Bernhard Jordan) erhielt die „Schnanner Goldgeschichte“ auch eine literarische Fassung. 2008 und 2009 gab es Freilichtaufführungen beim Wegmachers Haus im „Usserloch“, die tirolweit Aufmerksamkeit auf sich zogen.

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